Gibt es eigentlich ein Runners Blackout? Mein Bericht vom Berlin Halbmarathon!

Am Samstag ging es endlich los, wir fuhren aus dem verschneiten Ruhrgebiet nach Berlin. Die Wetterbedingungen hatte ich mir vollkommen anders vorgestellt! Wir kamen aber gut durch und waren gegen Nachmittag an der Expo um meine Startunterlagen abzuholen. Es war alles gut organisiert und die Wartezeit gering. Glücklich, nun alles beisammen zu haben, fuhren wir zum Hotel. Unterwegs entdeckte ich die grüne Linie und stellte mit Freude fest, dass unser Hotel sehr zentral lag und die Halbmarathon Strecke direkt daran vorbei führte. Den Nachmittag verbrachten wir mit etwas Sightseeing und liefen die Strecke zum Start ab, um einschätzen zu können, wie viel Zeit wir am nächsten Morgen dazu benötigen würden.

Zum Abendessen suchten wir uns ein Indisches Restaurant, welches vegane Speisen anbot. Ich wählte eine Art Kichererbsen-Eintopf und ordentlich Brot. So wirklich lecker war es leider nicht und dann fiel mir außerdem ein, dass Hülsenfrüchte vor dem Rennen vielleicht nicht die optimale Wahl war – aber zu spät, der Eintopf war gegessen. Im Hotel aß ich noch ein paar Snacks um auch ja genug Kohlenhydrate geladen zu haben. Beim Carbloading gehe ich lieber auf Nummer sicher.

Die Nacht war mehr als bescheiden. Ich schlafe generell auswärts nicht gut und in dieser Nacht so gut wie gar nicht. Egal, Kaffee und Adrenalin würden das schon irgendwie regeln.

Wir machten uns auf den Weg zum Frühstück und ich hatte mein bereits vorbereitetes Essen dabei. Zuhause war der Plan, beim Essen vor dem Lauf nichts dem Zufall zu überlassen. Am leckeren Buffet waren die guten Vorsätze jedoch Geschichte und ich aß mich durch allerlei Leckereien. Der nette Kellner wollte mir unbedingt Eier andrehen, er meinte die gäben Kraft für den Lauf. Ich lehnte dankend ab und sagte, dass ich mich vegan ernähre. Irgendwie schien er aber zu meinen, ich sollte unbedingt noch mehr essen und kam mit einem Avocado-Obst Smoothie aus der Küche zurück. Da das nach Hülsenfrüchten und Buffet jetzt auch egal war, setzte ich mit dem Fett- und Säurehaltigen leckeren Getränk noch einen drauf. Wenn der Halbmarathon auf dem Dixie enden würde, dann wüsste ich zumindest warum.

Im Zimmer brachte ich Startnummer und Chip an, überlegte zum zehnten Mal ob ich mich aufgrund der Kälte doch nochmal umziehen sollte und lies es dann aber bleiben. Das Wetter war für mein Empfinden gruselig. Alles unter fünf Grad ist für mich wirklich nur schwer zu ertragen. Aber so ein Halbmarathon ist ja kein Wunschkonzert und so machten wir uns frierend auf dem Weg.

Vor dem Teilnehmerbereich musste ich mich von Matthias verabschieden und hätte am liebsten geheult. In dem Moment hatte ich das Gefühl, alles falsch gemacht und zu haben, und hätte es auch nur einen plausiblen Grund gegeben, nicht zu starten: ich wäre wieder umgedreht.

Aber mir fiel nichts ein und so machte ich mich auf dem Weg. Ganz schön viel los. Es war mein erstes großes Laufevent und ich war etwas erschlagen. Umso erleichterter war ich, als ich Nicole und Heiko von den Köln Marathon Botschaftern traf. Zusammen mit ihnen machte ich mich auf dem Weg in den Startblock. Unterwegs wurde ich nervös, denn ich musste dringend zur Toilette. Aber dank Nicole wusste ich, dass es genug Dixies direkt im Startbereich gab. Nachdem das auch erledigt war, ging es in den Startblock. Ich war leicht geschockt, denn es war sehr sehr voll und so landeten wir zwar im Bereich B, jedoch recht weit hinten, noch hinter den 1:45 Pacern. Mit Schrecken stellte ich fest, dass ich etwas ziemlich wichtiges vergessen hatte: das Aufwärmen. Kein Steigerungslauf, kein Mobility, nichts hatte ich gemacht und das bei der Kälte.

Und während ich mich über mich ärgerte, fiel ein Schuss. Ich war geschockt! Ich schaute Nicole an und fragte, ob das denn jetzt schon der Startschuss war? Das war er. In diesem Moment fühlte ich mich ganz und gar nicht bereit, aber was willste da noch machen? Ich verabschiedete mich schweren Herzens von Nicole und Heiko. Ihr glaubt gar nicht, wie gerne ich einfach alles über den Haufen geworfen hätte und einfach mit den beiden gelaufen wäre. Aber ich hatte wochenlang trainiert um eine neue PB zu laufen und wollte unbedingt die 1:40 Marke knacken. Also rannte ich los.

Nach den ersten paar hundert Metern schaute ich auf die Uhr: 4:11. Definitiv zu schnell und ich nahm Tempo raus. Dies ist übrigens der letzte Moment, an den ich mich erinnere, denn dann passierte etwas ganz schräges: bis zu km 7 kann ich mich an nichts mehr erinnern. Das ist wirklich ernst gemeint. Ich habe mir im Nachhinein einige Videos auf YouTube angesehen und ich kann mich an gar nichts erinnern. Völliges Blackout. Runners High kennt man ja, bzw. man hat schon mal davon gehört. Aber was war das? Runners Blackout? Falls jemand von euch auch so ein Erlebnis hatte, melde dich bitte bei mir!

Bei km 7 setzt die Erinnerung wieder ein, denn dort war die Überraschung groß: es war bereits ein Drittel geschafft und ich hatte es nicht mal bemerkt… verrückt! Mein Ziel war es ja eine neue PB zu laufen. Es galt also, die 1:43:02 zu unterbieten und am besten noch unter der 1:40 zu landen.. Ich hatte gut trainiert, bis auf zwei Einheiten lief alles nach Plan und ich wusste, dass ich es schaffen kann, wenn jetzt nichts gravierendes schief lief, oder sich meine Nahrungsaufnahme doch noch als suboptimal erwies. Ich war also ganz guter Dinge. Nachdem ich mich und meine Umgebung also wieder wahrnahm, bemerkte ich auch die tolle Stimmung! Denn obwohl es kalt war, waren doch einige Menschen an der Strecke. Man hört ja immer, dass man bei einem offiziellen Rennen viel mehr kann als im Training und die Zuschauer und das Adrenalin einen ordentlich pushen. Aufgrund meiner sehr spärlichen Wettkampferfahrung konnte ich mir darunter nur wenig vorstellen, bzw. wusste nicht, was es mit mir machen wird.

Gerne hätte ich eine Gruppe, oder zumindest eine:n Mitläufer:in gefunden, die das selbe Tempo wie ich liefen, aber das stellte sich als schwieriger als gedacht heraus. Da ich doch recht weit hinten im Startblock stand sammelte ich einige Läufer ein und war zu schnell und natürlich überholten auch mich viele Läufer:innen die für mich viel zu flott unterwegs waren.

Statt Vollgas und alles was geht zu geben, entschied ich mich dazu, diesen Lauf einfach nur zu genießen! Ich war mir der sub 1:40 sicher und so wich die ganze Anspannung und ich feierte! Ich klatschte ab, ich holte mir extra Power an Plakaten ab, ich beklatschte die Bands am Straßenrand. Ich würde mich eher als zurückhaltend bezeichnen, aber in diesem Lauf passierte irgendwas mit mir.

Bei km 10 sah ich die ersten Läufer gehen. Ein junger Mann stand am Straßenrand, auf seiner Startnummer stand der Buchstabe A (er gehörte somit zu den richtig schnellen Läufern) und man sah seine Enttäuschung so sehr, dass es mir einen Stich ins Herz versetzte.

Meine Uhr vibrierte, ich schaute darauf und sah eine neue 10 km Bestzeit: 44:57. Wow, endlich unter den magischen 45 Minuten gelandet! Darüber freute ich mich sehr und schon war schon der nächste Kilometer verflogen und es war Halbzeit.

Bei km 14 gab es eine Gelstation und ich nahm mir fest vor, das Trinken und auch die Einnahme von Gels zu üben und zu probieren. Ich war jedoch nicht besonders durstig und Energie hatte ich auch noch genug, ich wäre einfach nur neugierig, ob so ein zusätzlicher Carb Push einen Benefit für mich hat. Im Ziel sollte es Bier geben, stand zumindest auf einem Plakat und darauf freute ich mich!

Ich lief einfach weiter, so dass es schon anstrengend war, aber immer noch im “Wohlfühlbereich”. Auf meinen Puls achtete ich übrigens nicht, ich verließ mich auf mein Körpergefühl und das schien ganz gut zu funktionieren, denn ich bin tatsächlich viel im GA2 Bereich gelaufen und kam nie in den anaeroben Bereich.

Ab km 16 wurden es immer mehr Zuschauer und die Stimmung nochmal viel besser. Nur noch 5 km, das ist ja quasi nix! Die Strecke wurde kurviger und leider wurde ich ein paar mal unsanft hin und her geschubst. Mal wurde sich entschuldigt, häufiger nicht. Kein sportlicher Move. Dann fiel dem Läufer vor mir sein Handy auf dem Boden, zum Glück sah ich es fliegen und konnte ausweichen um nicht drauf zu trampeln. Der Lauf wurde irgendwie unruhiger, meine Pace schwankte stärker, aber das beunruhigte mich nicht, denn ich hatte genug Puffer um auch die letzten Kilometer zu genießen.

Und dann sah ich es auch schon: das Brandenburger Tor! Ich überquerte jubelnd die Ziellinie und war einfach nur unfassbar glücklich über diesen tollen Lauf! Im Ziel gab es direkt Folie um nicht auszukühlen. Ein netter Mann wollte mir die Medaille überreichen, aber sie fiel auf den Boden und er wollte mir eine neue geben. Ich hob sie auf und sagte, dass ich genau die möchte. Ich schaute umher und dann war ich doch etwas erschrocken: viele Läufer:innen schienen komplett über ihre Grenzen und darüber hinaus gegangen zu sein. Ich schwor mir, niemals kotzend über einer Bande im Zielbereich zu hängen. Darauf trank ich ein alkoholfreies Bier und rief Matthias an. Und dann fiel mir ein, dass ich meine Uhr zwar gestoppt, aber den Lauf noch nicht gespeichert hatte und gar nicht meine Zeit wusste: 1:35:55 stand da – was für eine schöne Zahl.

Dieser Lauf hat mich einiges gelehrt und meine Liebe zum Laufen ist größer als je zuvor. Ich möchte unbedingt mehr solcher tollen Erlebnisse sammeln.

Meinen Trainingsplan für die sub 1:40 im Halbmarathon findest du übrigens in unserer App. Natürlich gibt es dort noch viele weitere Pläne für die unterschiedlichen Distanzen und Zeiten.

Sarah Linda Gall

Sarah war nie sportbegeistert und schon beim Schulsport um keine Ausrede verlegen, um nicht teilnehmen zu müssen. Mit 31 Jahren wog sie 124 Kilo, hatte Diabetes Typ 2 und Bluthochdruck. Sie schaffte es, sich fast zu halbieren und fasste den Entschluss, irgendwann einen Marathon zu laufen. Inzwischen hat Sarah viele tausend Laufkilometer hinter sich, jede Menge Erfahrung gesammelt und ist davon überzeugt, dass jeder laufen kann und auch sollte.

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